OGH-Entscheidung – Beweiserleichterung bei fehlerhaftem Medizinprodukt

OGH 31.7.2025, 1 Ob 50/25x

Die Erstbeklagte ist Produzentin eines Intrauterinpessars, das zur Empfängnisverhütung verwendet wird (Spirale). Die Zweitbeklagte ist die Rechtsträgerin des für die Medizinmarktaufsicht zuständigen Bundesamts für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG). Bei einigen Chargen der von der Erstbeklagten hergestellten Spiralen traten vermehrt auf einen Materialfehler zurückzuführende Brüche auf. Der Klägerin wurde 2018 eine Spirale aus einer dieser Chargen eingesetzt. Bei der gynäkologischen Untersuchung gab es keinen Hinweis auf einen Verbleib der Spirale in ihrem Körper („lost IUD“). In weiterer Folge stellte die Gynäkologin bei ihr eine Schwangerschaft fest und die Klägerin brachte eine Tochter zur Welt.

Die Klägerin begehrte von den Beklagten Schadenersatz (insbesondere Schmerzengeld, Verdienstentgang und Ersatz für den Unterhalt ihrer Tochter), weil die Spirale aufgrund des Materialfehlers in ihrem Körper gebrochen sei, sodass eine ungewollte Schwangerschaft eingetreten sei. Außerdem erhob sie ein Feststellungsbegehren für alle weiteren Schäden. Gegenüber der Erstbeklagten stützte sie sich auf Produkthaftung, gegenüber der Zweitbeklagten auf Amtshaftung, weil diese die ihr nach dem MPG 1996 obliegenden Aufsichts-, Überwachungs- und Informationspflichten verletzt habe.

Zu den gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhobenen Rekurse sprach der Oberste Gerichtshof aus, der Anscheinsbeweis werde in Fällen als sachgerecht empfunden, in denen konkrete Beweise vom Beweispflichtigen billigerweise nicht erwartet werden können (RS0123919). Er beruht darauf, dass bestimmte Geschehensabläufe typisch sind und es wahrscheinlich ist, dass auch im jeweils konkreten Fall ein gewöhnlicher Ablauf und nicht ein atypischer gegeben ist (RS0040266).

Der Oberste Gerichtshof führt in seiner Entscheidung aus, die Klägerin habe nachgewiesen, dass die ihr eingesetzte (unbemerkt abgegangene) Spirale aus einer von dem Materialfehler betroffenen Charge stammte. Es bestünden keine Bedenken gegen die Annahme des Berufungsgerichts, dass dieser Tatbestand mit typischem Geschehensablauf auf Basis der innerstaatlichen Rechtsprechung eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast in Ansehung der Fehlerhaftigkeit der Spirale der Klägerin rechtfertigt, ohne dass es auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art 6 Abs 1 der Produkthaftungsrichtline alt (Richtlinie 85/374/EWG) ankäme.

Für Betroffene von fehlerhaften Medizinprodukten in ähnlich gelagerten Fällen führt diese Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof zu einer Erleichterung in der Prozessführung.

Zur Entscheidung

Mag. Theresa Stachowitz