Bei der Urteilsverkündung des EuGH (C-329/23 SVS gg W M) zu diesem komplizierten Fall im europäischen 🇪🇺Sozialversicherungsrecht (Selbstständiger in AT/FL/CH 🇦🇹🇱🇮🇨🇭) war ich schon etwas angespannt. Erfreulicherweise haben meine Kollegin Tülay Altuntas und ich für unseren Mandanten alles erreicht, was wir wollten:
1. Es ist klar, dass die „EU-Wanderarbeitnehmerverordnungen“ Nr 1408/71 und 883/04 jedenfalls im Verhältnis zu FL und der CH anzuwenden sind und dies entgegen der nicht nachvollziehbaren Meinung des österr. Sozialministeriums unabhängig von einer völkerrechtlichen (Koordinierungs)Vereinbarung zwischen FL-CH-AT; vgl die verfehlte Auffassung zitierend in Rz 24. Der EuGH hat das sehr schön auch mit dem Telos argumentiert, dass sonst die Rechte aus den beiden VO und das Freizügigkeitsrecht verloren gingen (Rz 37, 38), obwohl sie über EWRA u FZA gelten.
2. Der EuGH folgt der Kommission, wonach die Rechtsbeziehungen AT-FL und AT-CH jeweils getrennt zu prüfen sind (Rz 40, 41).
3. Besonders bedeutsam ist aber die Frage, ob sich der „vorherrschende Sachverhalt“ iSv Art 87 Abs 8 der VO 883/04 geändert hat. Zu dieser dritten Vorlagefrage ist im Spruch nichts ersichtlich. In der Begründung Randziffer 48 ff (insbes Rz 50) stellt der EuGH aber klar, dass für das hier strittige Verhältnis (Anwendung liechtensteinischen oder österr. SV-Rechts) die Tätigkeitsaufnahme in der Schweiz keine Änderung des „vorherrschenden Sachverhaltes“ iSv Art 87 Abs 8 der VO ist. Er folgt da (sogar noch strikter) der „getrennten Betrachtungsweise“, die die EU-Kommission im Schriftsatz schon vertreten hat. Zu dieser Frage habe ich übrigens als erster schon 2010,438 ff in der ASoK (und im Schweizer Jahrbuch für Europarecht 2009/2010, 438 ff) publiziert; sehr schön, dass ich nun die erste höchstgerichtliche Entscheidung zu diesem unbestimmten Begriff erfolgreich erarbeiten konnte.