OGH-Entscheidung – Analoge Anwendung des § 783 ABGB auf nicht konkret pflichtteilsberechtigte Geschenknehmer

OGH-Entscheidung 2 Ob 100/23d vom 25.7.2023

In der Entscheidung 2 Ob 100/23d vom 25.7.2023 äußerte sich der Oberste Gerichtshof (OGH) zur Frage der analogen Anwendung des § 783 ABGB auf nicht konkret pflichtteilsberechtigte Geschenknehmer und setzte sich umfassend mit der vorliegenden Literatur und den Gesetzesmaterialien auseinander.

Gegenstand der Entscheidung war ein familiärer Konflikt, bei dem die Tochter des Erblassers gemäß § 789 ABGB ihren eigenen Sohn in Anspruch nahm und die Zahlung ihres Pflichtteils in Höhe von € 60.000,– forderte, zumal der Erblasser zu Lebzeiten seinem Enkel eine Liegenschaft geschenkt hatte. Die Höhe ihres Pflichtteils entsprach dabei einem Sechstel des angenommenen Werts der Liegenschaft. Der Beklagte hingegen wendete ein, dass auch der Wert der der Klägerin gemachten Schenkung, hinzu- und anzurechnen sei. Der überschuldete Nachlass wurde der Witwe an Zahlungs statt überlassen.

  • 783 ABGB sieht vom Wortlaut her vor, dass auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten oder eines Erben Schenkungen an Personen, die dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören (§ 757), der Verlassenschaft hinzuzurechnen und auf den Pflichtteil anzurechnen sind.

Der Enkel war zwar abstrakt pflichtteilsberechtigt, jedoch nicht konkret, zumal seine Mutter noch lebte und selbst pflichtteilsberechtigt war.

Der erkennende Fachsenat bestätigte die klageabweisenden Entscheidungen der Vorinstanzen. Der Sohn der Klägerin als abstrakt Pflichtteilsberechtigter kann in analoger Anwendung des § 783 ABGB die Hinzu- und Anrechnung der der Klägerin gemachten Schenkung des Erblassers begehren. Der OGH begründete dies dahingehend, dass die Regelung des § 783 ABGB nicht jedem ermögliche, der zur Leistung des Pflichtteils verpflichtet ist, die Hinzu- und Anrechnung zu verlangen, obwohl aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe, dass der Gesetzgeber bestrebt war, jedem, der zur Leistung des Pflichtteils verpflichtet ist, das Recht auf Hinzu- und Anrechnung einzuräumen. Der Legislative zufolge sollte nämlich vermieden werden, dass jemand, der die Hinzu- und Anrechnung fordert, gleichzeitig einer Anrechnung entgehen und dennoch die Herausgabe gemäß § 789 ABGB von den übrigen Geschenknehmern verlangen kann. Insofern ist darin eine zu schließende planwidrige Lücke zu erblicken.

Darüber hinaus bezog der OGH in seiner Argumentation auch die Lehrmeinungen mit ein, welche eine Analogie unter anderem dahingehend befürworten, dass bei deren Verneinung der Pflichtteilskläger im Ergebnis seinen Pflichtteil „doppelt“ erhalten würde und sich das im Fall einer Inanspruchnahme nach § 789 ABGB bestehende rechtliche Interesse eines abstrakt pflichtteilsberechtigten Geschenknehmers nicht vom rechtlichen Interesse jedes anderen Geschenknehmers, der nach § 789 ABGB in Anspruch genommen wird, unterscheidet.

Der OGH formulierte daher folgenden Rechtssatz: „Nimmt ein konkret Pflichtteilsberechtigter einen von diesem Wortlaut nicht erfassten Geschenknehmer wegen nicht ausreichender Verlassenschaft nach §§ 789 ff ABGB in Anspruch, dann ist der auf diese Weise belangte Beschenkte in analoger Anwendung des § 783 Abs 1 Satz 2 ABGB ebenfalls zur Erhebung eines Hinzu- und Anrechnungsbegehrens legitimiert, kann also gegen den Pflichtteilskläger einwenden, dass sich dieser selbst eine andere Schenkung anrechnen lassen muss.“.

Stand: 9.2.2024 Mag. Ivica Jelusic