Abzug von Minusstunden?

OLG Wien 27.9.2023, 8 Ra 47/23z

(ARD 6884/6/2023)

In der Praxis stellt sich für Arbeitgeber oft die Frage, ob Minusstunden vom Gehalt des Arbeitnehmers abgezogen werden dürfen. Zuletzt hat sich das Oberlandesgericht Wien, 8 Ra 47/23z, 27.9.2023, mit dieser Frage beschäftigt.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war im Zeitraum von 2.5.2017 bis 17.12.2021 bei der beklagten Partei als Zustellerin beschäftigt. Im Beendigungszeitpunkt hatte die Klägerin 150 Minusstunden, für welche die Arbeitgeberin im Rahmen der Endabrechnung einen Gehaltsabzug vorgenommen hat. Die Klägerin begehrte die Zahlung des Arbeitsentgeltes für diese Minusstunden. Das Entstehen der Minusstunden sei nach Ansicht der Klägerin einzig und allein auf die Arbeitgebersphäre zurückzuführen, weshalb der Anspruch zu Recht bestehe.

Tatsächlich folgte das Oberlandesgericht Wien der Ansicht der Klägerin und gab der Klage statt. Auf das gegenständliche Arbeitsverhältnis gelangte eine Gleitzeitvereinbarung zur Anwendung. Die Klägerin trat ihren Dienst zum frühestmöglichen Zeitpunkt an. Die ihr zugeteilten Aufträge an Zustellungen arbeitete die Klägerin sehr schnell ab und kehrte anschließend zur Zustellbasis zurück. Die Klägerin wurde von der Arbeitgeberin angewiesen, nach Rückkehr zur Zustellbasis innerhalb von 30 Minuten den Dienst zu beenden – dies unabhängig davon, innerhalb welches Zeitraums die Zustellungen erfolgten. Das war die Ursache für das Entstehen der Minusstunden. Das OLG hält hierzu fest, dass das Entstehen von Zeitschulden ausschließlich auf das von der Arbeitgeberin angewendete System der Zuteilung von Arbeit an die Arbeitnehmer geschuldet ist. Das Argument der Arbeitgeberin, wonach die Klägerin zur Arbeitsleistung von durchschnittlich 40 Stunden pro Woche verpflichtet und dieser Verpflichtung aufgrund der zu schnellen und damit fehleranfälligen Zustellung nicht nachgekommen sei, war nicht überzeugend. Denn das System der Arbeitgeberin ist so gestaltet, dass die Klägerin nur durch ein „Zeitschinden“ das Entstehen von Minusstunden verhindern konnte. Allerdings kann ein solches „Zeitschinden“ nicht den Arbeitgeberinteressen entsprechen. Daraus folgt, dass eine solche Arbeitsweise erst recht nicht von der Arbeitnehmerin verlangt werden darf. Dies würde ohnehin dem Sinn und Zweck des Gleitzeitmodells, welches der Arbeitnehmerin eine Arbeitszeitflexibilität gewähren sollte, widersprechen.

Vor diesem Hintergrund hat die Arbeitnehmerin gemäß § 1155 Abs 1 ABGB Anspruch auf die noch nicht abgegoltenen Minusstunden, die auf die Arbeitgebersphäre zurückzuführen waren.

Stand: 9.2.2024 Mag. Tülay Altuntas