COVID-19 Vertragsrecht

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COVID-19 und dessen Auswirkungen auf Verträge

Höhere Gewalt – Nachträgliche Unmöglichkeit – Wegfall der Geschäftsgrundlage

Aufgrund der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie treten immer häufiger Probleme bei der Einhaltung der Verträge auf. Was ist zu tun, wenn Sie aufgrund der COVID-19 Pandemie derzeit nicht in der Lage sind, Ihren Vertrag einzuhalten.

Zur Überprüfung der Rechtsfolgen ist es zunächst erforderlich, die geschlossenen Verträge und eventuell die mitvereinbarten AGB zu analysieren. Bloß wenn diese keine oder keine umfassende Regelung bietet, ist auf die anwendbaren gesetzlichen Regelungen zurückzugreifen.

Ist es den Vertragsparteien für eine bestimmte Zeit oder überhaupt nicht mehr möglich, ihre vertraglichen Leistungen zu erbringen, kann ein Fall höherer Gewalt vorliegen. Auch das Institut Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die nachträgliche Unmöglichkeit können zur Aufhebung oder Anpassung des Vertrages führen.

 

Höhere Gewalt

In seiner Entscheidung 1 Ob 93/00h hat der Oberste Gerichtshof den Begriff „höhere Gewalt“ wie folgt definiert:

Höhere Gewalt ist dann anzunehmen, wenn ein außergewöhnliches Ereignis von außen einwirkt, das nicht in einer gewissen Regelmäßigkeit vorkommt bzw zu erwarten ist und selbst durch äußerste zumutbare Sorgfalt weder abgewendet noch in seinen Folgen unschädlich gemacht werden kann. Unabwendbar ist aber auch jedes nicht außergewöhnliche Ereignis, das trotz aller erdenklichen Sachkunde und Vorsicht nicht abgewendet werden kann.

Wenn für einen Vertragspartner aufgrund einer höheren Gewalt die Erfüllung der Leistung nachträglich unmöglich wird, besteht grundsätzlich auch keine Pflicht dieses Vertragspartners, die Leistung zu erbringen. Es entstehen auch keine schadenersatzrechtlichen Ansprüche des anderen Vertragspartners gegenüber dem, der seine Leistung aufgrund höherer Gewalt nicht mehr erbringen kann. Die Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten muss daher zwingend auf den Umstand der höheren Gewalt zurückzuführen sein.

Verträge enthalten häufig Regelungen zu höherer Gewalt, weil solche Ereignisse auch in „normalen“ Zeiten vorkommen. Die Bestimmungen regeln oftmals Rechtsfolgen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen, Seuchen, Krieg, Terrorismus, Finanzkrisen, Streiks und Arbeitsniederlegungen etc. Solche Regeln können auch in der heutigen Krise einschlägig sein. Bei (internationalen) Unternehmenstransaktionen finden sich häufig Umstandsklauseln oder MAC-Klauseln (material adverse change), die Rechtsfolgen vorsehen, falls sich zwischen Vertragsunterzeichnung (signing) und Wirksamwerden des Vertrags (closing) die äußeren Verhältnisse so gravierend ändern, dass die Vertragspartner vor einer neuen Situation stehen.

Wichtiger Hinweis: Bei internationalen Verträgen ist vorab zu klären, welches Recht und somit welche Bestimmungen und Rechtsfolgen im Falle einer höheren Gewalt zur Anwendung kommen.

Nachträgliche Unmöglichkeit

Wenn nach Vertragsabschluss aber vor vollständiger Erfüllung eines Vertrags eine Leistung zufällig unmöglich wird, wird der Schuldner von der Verpflichtung zur Leistungserbringung befreit (§ 1447 ABGB).

Unmöglich ist die Leistungserbringung, wenn ihr in rechtlicher Hinsicht (zB Unerlaubtheit) oder in tatsächlicher Hinsicht ein dauerhaftes Hindernis entgegensteht, sodass die Leistung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht erbracht werden kann.

Beispiel: Untersagung der Leistungserbringung durch rechtskräftigen individuellen oder generellen Hoheitsakt (3 Ob 112/97k).

Ist die Unmöglichkeit nur vorübergehend, begründet dies Verzug.

Der Unmöglichkeit wird die wirtschaftliche Unzumutbarkeit (Unerschwinglichkeit) der Leistungserbringung gleichgehalten, wenn diese vom Schuldner weder verschuldet wurde noch von diesem vorausgesehen werden konnte (8 Ob 86/06i). Wirtschaftlich unzumutbar ist die Leistungserbringung, wenn der Aufwand in keinem Verhältnis zum Wert der Leistung selbst steht und die Leistung daher schon objektiv als unvernünftig und wirtschaftlich sinnlos erscheint (4 Ob 196/08i).

Es wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob COVID-19 einen Fall der nachträglichen Unmöglichkeit gemäß § 1447 ABGB bewirkt. Bei teilweiser Unmöglichkeit wird zu prüfen sein, ob die noch mögliche Teilerfüllung für den Gläubiger nach dem Vertragszweck noch von Interesse ist.

 

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Als Geschäftsgrundlage bezeichnet man für ein Geschäft typische Umstände, von deren Bestehen beide Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ausgehen. Ändern sich diese geschäftstypischen Umstände, spricht man vom Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist auszugehen, wenn

– die Fehlvorstellung eine Änderung oder das Fehlen typischer Umstände und Voraussetzungen betrifft, die jedermann mit dem Abschluss dieses Geschäftes verbindet und

– diese Umstände nicht der Partei zuzurechnen sind, die sich darauf berufen will und

– die Änderung oder das Fehlen bei Vertragsabschluss nicht vorsehbar war.

Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage verfolgt den Zweck, den Vertragsparteien aufgrund der Änderung der Umstände eine Anfechtung oder Anpassung des Vertrages zu ermöglichen. Es ist nämlich untypisch zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses auf mögliche Umstände wie Seuchen, hochinfektiöse Krankheiten oder sonstige unvorhersehbare Ereignisse Bedacht zu nehmen.

Vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist zB auszugehen, wenn ein Krieg ausbricht (so auch die ältere Literatur: Gschnitzer in Klang Kommentar zum ABGB II/1 [1968], 901).

Der OGH hat beispielsweise in seiner Entscheidung 4 Ob 103/05h den Wegfall der Geschäftsgrundlage beim Ausbruch der Infektionskrankheit SARS bejaht.

 

Fazit: COVID-19 wird in den kommenden Wochen und Monaten zahlreiche Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Erfüllung rechtsgültig geschlossener Verträge aufwerfen. Dabei werden die teilweise im Gesetz verankerten alten Rechtsgrundsätze des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“, der nachträglichen zufälligen Unmöglichkeit der Leistungserbringung, der Unzumutbarkeit (Unwirtschaftlichkeit) der Leistungserbringung und „höhere Gewalt“ im Mittelpunkt stehen. Die Rechtspraxis wird sich auf reichhaltiges Anschauungsmaterial, insbesondere aus früheren Krisenzeiten (etwa aus den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts, aus der Zeit nach 1945) aber auch aus Phasen anderer gesellschaftlicher Umbrüche stützen können.

 

(Dr. Viktor Thurnher und Mag. Tülay Keskin, Stand 27.3.2020)